ZDF-Sendung „Markus Lanz“
Jens Spahn will Grenzen schließen– das europäische Asylsystem nennt er dysfunktional
Jens Spahn in der Talksendung von Markus Lanz.
Quelle: ZDF und Cornelia Lehmann
Mit möglichen Konsequenzen aus dem Terror von Solingen beschäftigt sich die Talkrunde von Markus Lanz. Jens Spahn fordert drastische Konsequenzen in der Migrationspolitik, etwa die Schließung der Grenzen– die demokratische Mitte stehe auf dem Spiel.
Unionsfraktionsvize Jens Spahn hält das europäische Asylsystem für dysfunktional. „Es funktioniert nicht“, sagte der CDU-Politiker am Dienstagabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“, in der es um die Folgen des islamistisch motivierten Terrorakts von Solingen ging. In Deutschland würden Verfahren bis ins „letzte Paragräfchen“ geführt. Am Ende sei das Land damit überfordert.
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Es folgte ein Satz, über den er lange gebrütet habe: „Die demokratische Mitte beendet irreguläre Migration – oder irreguläre Migration beendet die demokratische Mitte“, so Spahn. Es war eine von vielen scharfen Aussagen, die der Unionspolitiker in seinem Unmut gegen Bundes- und EU‑Politik tätigte.
„Aus Solingen kann man etwas lernen“, widersprach Spahn auch SPD-Chefin Saskia Esken, die mit ihrer Aussage, aus dem Anschlag könne man keine lehrreichen Schlüsse ziehen, Kritik auf sich gezogen hatte. Sichtlich geladen über die Eindrücke der letzten Tage kritisierte der Unionsfraktionsvize auch Olaf Scholz. „Der Kanzler hat nicht zornig zu sein, er hat Probleme zu lösen.“ Von Erzählungen rund um die „Härte des Rechtsstaates“ hätten die Menschen inzwischen genug.
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Angesichts der großen Zahl Geflüchteter in Deutschland sieht Spahn die Lösung allein nicht in praktisch meist ineffizienten Abschiebungen, sondern fordert strikt geschlossene Grenzen, um die irreguläre Migration als „Wurzel des Problems“ zu bekämpfen. „Wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht etwa Kalkutta, der wird Kalkutta“, zitierte Spahn Peter Scholl-Latour. Aussagen, die in der Runde allenfalls von „Zeit“-Journalistin Anne Hähnig in ihrer Drastik entschärft wurden.
Migrationspolitik als Katalysator für Extremismus?
Dass Spahn dabei geltendes EU-Recht umgehen würde, will er mit einer „Notlage“ rechtfertigen. Ein dysfunktionales System, wie im Fall des EU‑Asylrechts, überschreite, „was wir leisten können“, schimpfte Spahn. Überforderung in Kitas, Schulen und auf dem Wohnungsmarkt seien Symptome davon. „Diese Notlage bedeutet, EU‑Recht im Sinne nationaler Sicherheit auszusetzen.“
Im starren EU-Recht sieht der CDU-Politiker eine Gefahr für die Demokratie. „Wir sagen den Leuten, dass souverän gewählte Abgeordnete nicht entscheiden können, weil es alles verrechtlicht worden ist.“ Das führe schrittweise zu massivem Frust. Letztlich stelle der Wähler die Systemfrage, was Parteien am rechten und linken Rand stärken würde. Das CDU-Angebot zur Zusammenarbeit, das Friedrich Merz formuliert hatte, stehe. Die Union sei bereit, den notwendigen Gesetzen zu einer Mehrheit zu verhelfen, so Spahn.
Vom Juraprofessor Daniel Thym wollte Markus Lanz wissen, „was wir an Grenzen dürfen und was nicht“. „Das Beispiel des Solinger Attentäters wirft ein Schlaglicht darauf, was es braucht“, gab sich der Jurist schwammig. Für kurzfristige Verbesserungen sei es beispielsweise notwendig, die Kommunikation von Behörden durch Digitalisierung zu beschleunigen. Mitunter würde noch umständlich mit Papierakten zwischen Behörden kommuniziert, beschrieb Thym. Langfristige Gesetzesänderungen könnten bisweilen Jahre in Anspruch nehmen. Neben rechtlichen Hürden sieht der Völkerrechtler ein zentrales Problem in überforderten Behörden: „Wir schaffen es nicht, Ausreisepflicht in allen Fällen konsequent durchzusetzen.“
„Dann verlieren wir den Kampf um die Seelen dieser Menschen“
Der Extremismusforscher Ahmad Mansour warnte bei „Markus Lanz“ vor zukünftigen Terrorakten. „Die Sicherheitsapparate sagen seit Jahren, dass der IS und andere Flüchtlingsrouten nutzen, um Terrorstrukturen in Europa, in Deutschland, aufzubauen“, so Mansour. Aus dem Überfall auf Israel am 7. Oktober resultiere eine „Siegermentalität“, die Islamisten darin bestärke, ihr terroristisches Gedankengut in die Realität umzusetzen.
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„Wir sind am Anfang einer Welle“, prognostiziert Mansour im Hinblick auf orientierungslose Menschen, die für die Ideen des Islamismus empfänglich seien. Geflüchtete, die durch das Raster überforderter Strukturen zur Integration fallen, hätten emotionale Schwierigkeiten, in Deutschland anzukommen. Entstehende Identitätsverlustängste würden Islamisten aufgreifen. Die deutsche Außenpolitik, etwa Waffenlieferungen oder Unterstützung für Israel, täten ihr Übriges, sodass viele auf Distanz zu Deutschland gingen.
Grund zur Sorge bereitet dem Extremismusforscher vor allem die Entwicklung in sozialen Netzwerken. Explizit radikalisierten sich dort junge Menschen durch emotionalisierende Aufnahmen. „Das ist ein Tsunami. Wenn ich als Jugendlicher Interesse habe, zu wissen, was in Gaza passiert, lande ich nicht bei ‚Zeit Online‘, sondern bei islamistischen Strukturen, die das nutzen, um Menschen auf Distanz zur Mehrheitsgesellschaft zu bringen“, so Mansour. Politik und Gesellschaft vernachlässigten die Wirkung sozialer Medien empfindlich. „Wenn wir das nicht ändern, verlieren wir den Kampf um die Seelen dieser Menschen.“